Learning Playlists - O'Reilly stellt sein Geschäftsmodell um
Schade ist es, aber O’Reilly hat seinen Online-Shop für Bücher eingestellt bzw. umgestellt. Es fiel mir auf, dass gar keine Newsletter mit dem Daily Deal mehr kamen. Ein Rückgang der Angebote darin war schon seit dem Jahreswechsel zu beobachten.
Nun verweist O’Reilly auf Drittanbieter, falls man die Bücher als PDF/EPUB oder Print beziehen möchte. Im Vordergrund steht die Safari Online Bibliothek, in der man mit Monats- oder Jahresraten Zugriff auf Videos und Bücher hat. Der Preis von $ 39,- pro Monat ist durchaus akzeptabel, allerdings wird es am Ende wohl so sein wie bei jeder Flatrate: Man kann sie auf Dauer nicht wirklich ausnutzen. Da aber eine monatliche Kündigung möglich ist, können sich Interessierte in Bezug auf bestimmte Themen kostengünstig und schnell auf den aktuellen Stand bringen.
Es ist zu erkennen, dass auch O’Reilly das schon etablierte neue Konzept von “Eigentum” für seinen Shop übernimmt. Denn es werden keine Artefakte mehr verkauft, sondern nur noch gegen Mietgebühr zur Verfügung gestellt. O’Reilly war bisher ein Kämpfer gegen Digital Rights Management (DRM) und hat am International Day Against DRM stets mit Rabattaktionen sein offenes und großzügiges Konzept der freien Kopierbarkeit digitaler Medien vor sich hergetragen. Damit scheint nun Schluss zu sein.1
Früher war alles besser?
Aber nur, weil jetzt alles anders ist, muss das nicht schlecht sein. Es scheint eher so, dass ich meine Haltung ändern müsste. Schauen wir also mal auf die Neuerungen und ihre Vorteile.
Interessant ist die Klausel in den Membership Agreements der Online-Bibliothek, in der die Verwendung von Werken in der Lehre geregelt wird:
Auszug aus dem Membership Agreement von Safari Books Online
Das bedeutet, dass ich meinen Studierenden Teile zur Verfügung stellen darf - allerdings nur in Papierform oder als PDF. Denn das Teilen funktioniert nicht ohne Safari-Account:
Die Regeln fürs Teilen von Sections
Beim Drucken in Chromium werden Buchseiten nicht optimiert. Es ist zu merken, dass die Inhalte nicht mehr auf Tauschen & Teilen ausgelegt sind.
Auswahl von Interessensschwerpunkten
Nach der Registrierung erscheint die Aufforderung, sich für Interessensschwerpunkte zu entscheiden. Ich denke, das hat mit dem internen Empfehlungssystem der Plattform zu tun. Bei mehreren Zehntausend Artikeln (Aussage O’Reilly) ist es sicherlich sinnvoll, eine Vorauswahl zu setzen, um sich nicht zu verlieren in der Fülle des Materials. Außerdem gibt es eine Seite Recommendations, die auf Basis der von mir rezipierten Materialien Vorschläge machen will. Wie mein Nutzerverhalten und Interesse noch für andere Zwecke ausgewertet wird, ist nicht transparent.
Auswahl von Interessensschwerpunkten nach der Registrierung
Transformation Playlists
Eine sehr gute Idee scheint mir das Konzept der Transformation Playlists zu sein. Sie stellen Sammlungen von Texten und Videos dar, die immer “From X to Y” betitelt sind, also einen Transformationsprozess ansprechen. O’Reilly definiert die Playlists wie folgt:
Transformation Playlists are designed to support major transformations you may be facing: developing agile processes, managing a distributed workforce, implementing secure systems, prioritizing importance of design, and many more.
Gerade hier liegt großes Potenzial für die persönliche und organisationelle Weiterbildung, da sich die IT-Kultur durch Agile, Openness und kollaborative Ansätze massiv verändert hat.
Oriole Online Tutorials
Durch die Teilnahme hat man ebenfalls Zugriff auf bisher sechzehn so genannte Oriole Online Tutorials, über die ich hier schon geschrieben hatte.
Learning Paths, Tutorials und Bücher
Weiterhin gibt es die von O’Reilly schon länger eingeführten Learning Paths, die didaktisch sinnvoll aufgebautes Material zur Verfügung stellen. Tutorials und unzählige Bücher komplettieren das Angebot.
Fazit
Auch wenn ich kein Freund der Vermietung digitaler Artefakte bin, finde ich den Ansatz von O’Reilly richtig und zeitgemäß. Er trägt der Tatsache Rechnung, dass Medien zu IT-Themen heute eine sehr geringe Haltbarkeit haben und es daher kaum lohnt, sich das Festplattenregal mit PDF-Büchern vollzustellen. Das mag in anderen Disziplinen, wo es eine der Domäne eigene langsamere Erkenntnisgeschwindigkeit gibt, anders sein. Das Angebot richtet sich auch nicht primär an Studierende, sondern an professionelle IT-Schaffende, die sich im Sinne des lebensbegleitenden Lernens permanent weiterbilden müssen.
Mit seiner neuen Bibliothek gibt O’Reilly auch den Hinweis auf eine mögliche Aufgabe für Lehrende, die mit OER-Material ihre Lehre bestreiten: Statt alles immer neu zu produzieren, kann ein zentraler Dienst für die lernende Community das Zusammenstellen von Playlists sein, die unter einem bestimmten Motto stehen. Der Begriff ist nicht neu, es gibt dazu einige Veröffentlichungen und Implementierungen (s. Referenzen). Aber auch aus der Perspektive der Lernenden egal welchen Alters ist “Playlist” eine Metapher, die anders konnotiert ist als “Buch” oder “Kurs”. Der Begriff “Playlist” referenziert die Zusammenstellung von Musikstücken, die in der Regel zu einzelnen Alben gehören, aber von Musikliebenden unter anderen Gesichtspunkten neu zusammengestellt werden. Dadurch werden Sender-Strukturen - in diesem Fall Musikalben - aufgebrochen und durch den Empfänger neu arrangiert. Fürs Lernen und Lehren hieße das, sich selbst und anderen Playlists zu erstellen, die nur geeignete Teile aus MOOCs und Büchern verwenden.
Was das neue Geschäftsmodell von O’Reilly angeht, bin ich noch nicht sicher, ob es mir mehr Vorteile bringt. Vom Ansatz her finde ich aber viel Inspirierendes in der Online-Bibliothek, das auf die OER-Kultur in Deutschland wirken könnte. Wir sollten bspw. mehr mit Playlists experimentieren. Die nächste Strategierunde OER sollte den Fokus auf den Mix setzen, nicht mehr nur auf die Produktion. Material erstellen können wir, das machen wir Lehrenden schon immer. Der Remix muss noch geübt werden. Daher finde ich Anreize für die Zusammenstellung von Learning Playlists, wie sie bspw. die MacArthur-Foundation ausgelobt hat, sehr sinnvoll.
Referenzen
- How To Create Learning Playlists In A Textbook World
- Playlists for Learning Challenge
- Buch: Content Curation for Learning (PDF)
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Die Links zu O’Reillys Webseiten das Thema betreffend sind nicht mehr aufrufbar, z.B. http://shop.oreilly.com/category/deals/day-against-drm.do ↩︎