Mastodon Session zu Ethik und Digitalisierung auf dem stARTcamp Hamburg 2019 | Axel Dürkop

Session zu Ethik und Digitalisierung auf dem stARTcamp Hamburg 2019

Es heißt, keine Technologie habe je zuvor so einschneidend auf die Lebens- und Arbeitswelt des Menschen gewirkt wie die Digitalisierung. Auch wenn es vielleicht noch zu früh ist für eine solche Bewertung, spüren wir zunehmend die Herausforderungen der so genannten digitalen Transformation und sind sehr unterschiedlich von ihr betroffen.

An erster Stelle dabei steht die Sorge oder eine Art Unwohlsein, gar nicht mehr zu verstehen, worum es eigentlich geht. Denn was wir unter Digitalisierung fassen, ist bei näherer Betrachtung eine Sammlung zahlreicher komplexer Technologien, die in sehr unterschiedlicher Weise die Welt verändern. Künstliche Intelligenz (KI), Algorithmen, Robotik, das Internet of Things (IoT), Big Data, Blockchain und autonome Drohnen in ziviler und militärischer Nutzung sind nur eine Auswahl, die in diesem Zusammenhang genannt werden kann.

Wie funktioniert das alles? Muss ich das verstehen? Wie soll ich mit der Entwicklungsgeschwindigkeit all dieser Erfindungen Schritt halten? Was bedeutet das alles für mich persönlich und die Welt?

Räume für Begegnungen

Das Projekt tekethics hat die Absicht, Räume für diese Fragen zu schaffen und Begegnungen von Menschen zu ermöglichen, die Antworten auf diese Fragen suchen. Im Jahr 2017 im Rahmen der HOOU an der TUHH auf den Weg gebracht, haben wir zunächst versucht, im Netz einen solchen Raum der Begegnung zu schaffen. Ausgehend von Texten der beiden Philosophen Dr. Mirco Garasic und Dr. Steffen Steinert haben wir Menschen eingeladen, online über verschiedene Fragestellungen zu diskutieren. Dazu ist ein Booklet in englischer Sprache entstanden, in dem verschiedene Technologien unserer Zeit aus ethischer Perspektive diskutiert werden. Ein deutsche Übersetzung mit zusätzlichen Kapiteln ist derzeit in Arbeit. Wir haben bei diesem Experiment gelernt, dass es nicht einfach ist, komplexe ethische Themen online zu verhandeln, weil Lese- und Schreibaufwand in der Philosophie schnell sehr herausfordernd werden.

Begegnungen in den Bücherhallen

Als die TUHH 2018 im Rahmen der HOOU mit den Hamburger Bücherhallen eine Kooperation einging, ergaben sich neue Möglichkeiten, Räume der Begegnung zu eröffnen. Angefangen mit einem ersten Workshop in der Zentralbibliothek im Februar 2019 habe ich gemeinsam mit den Kolleginnen der Zentralbibliothek die Reihe “Technik, Ethik, Zukunft - was denkst du?” entwickelt: Jeden vierten Freitag im Monat laden wir in die Zentralbibliothek am Hühnerposten alle Interessierten ein, von 17:00 bis 18:30 Uhr gemeinsam über ethische Fragestellungen aktueller technischer Trends zu diskutieren.

Es kommen sehr unterschiedliche Menschen, von denen manche studiert haben, viele die deutsche Sprache sprechen und manche nach interessanten Impulsen am Ende ihres Erwerbslebens suchen. Die Inhalte der Veranstaltungen ergeben sich nach einem kurzen Input von mir zur Idee der Reihe von selbst, nachdem die Anwesenden miteinander ins Gespräch gekommen sind. So haben wir schon über die Vor- und Nachteile von Alexa gesprochen, wie sich ein Handy von den vielen Überwachungsfunktionen befreien ließe und wie man überhaupt anfangen soll, sich über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Es geht immer um “das Digitale”, ohne dass wir bisher gemeinsam online waren. Seit der Oktober-Session begleite ich die Veranstaltungen mit einer Mitschrift und beginne seitdem auch, etwas vorzubereiten, das aus dem Interesse der Teilnehmenden kommt.

Begegnungen im Kino

Zusammen mit Dr. Lars Schmeink von der Hafen City University (HCU) veranstalte ich seit dem 22.10.2019 die Reihe “Zukunft | Gesellschaft | Technologie” als eine Kooperation von HCU und TUHH im Rahmen der HOOU und als eine Synthese der Projekte tekethics und SciFiVisions. Gut siebzig Studierende beider Hochschulen belegen die Veranstaltung als geistes- bzw. kulturwissenschaftliche Ergänzung ihrer technischen Studiengänge und können Leistungspunkte für ihr Studium erwerben. Lars und mich treibt beide das Interesse, die aktuellen technischen Entwicklungen aus einer kritisch-konstruktiven Perspektive der Philosphie und Medienwissenschaft zu betrachten. Lars’ Idee war es, dies ausgehend von Science-Fiction-Filmen im Kino zu tun, begleitet von einer gemeinsamen Lektüre wissenschaftlicher Texte zu den einzelnen Themen.

Neben den Studierenden wünschen wir uns auch die Teilnahme einer breiteren Öffentlichkeit. Dies wurde durch die HOOU und die beteiligten Hochschulen ermöglicht, sodass wir die Kinoveranstaltungen bei freiem Eintritt anbieten können. Zu unserer Freude und Überraschung sind die sieben Abende im Abaton so nachgefragt, dass wir bis zum Januartermin 2020 komplett ausgebucht sind. Nach dem gemeinsamen Sichten der Filme diskutieren wir mit dem Publikum und den beiden Expert*innen, die wir zum Thema eingeladen haben. Dabei begegnen sich sehr unterschiedliche Ansichten auf das Thema direkt im Kino. Es ist unser Ziel, die verschiedenen Gruppen noch näher in den Austausch zu bringen. Über unser Onlinetool Zocurelia, das ich extra für die Veranstaltung geschrieben habe, gelingt uns eine respektvolle und facettenreiche Diskussion mit den Studierenden an den empfohlenen Texten, die auch allen Interessierten zugänglich ist.

Begegnung beim stARTcamp 2019

Das Projekt tekethics war auch beim stARTcamp 2019 in Hamburg mit einer eigenen Session vertreten, die zu meiner Freude sehr gut besucht war. Ich wollte wissen, wer sich die gleichen Fragen stellt wie ich und ob es gelingt, die eine oder andere Antwort zu wagen. Nach einer Dreiviertelstunde gingen wir ergebnislos auseinander, was ich als Philosoph gewohnt bin. Die Komplexität der Welt muss man derzeit stärker aushalten denn je, es gilt, zunächst einmal die richtigen Fragen zu formulieren und das Problem greifbar zu machen. Mein Eindruck war, dass uns das in der Veranstaltung ganz gut gelungen ist. Begegnungen in diesem Format haben das Potenzial, sich einander in der Wahrnehmung von Problemen und Herausforderungen zu bestärken und diese in eine gemeinsame Sprache zu fassen. Dafür braucht es Zeit und Räume der Begegnung, online wie offline.

Lernen aus Begegnungen

Für mich sind die Begegnungen mit Studierenden in den Hochschulen, den Menschen in den Bücherhallen und auf Barcamps sehr wertvoll. Sie geben mir die Möglichkeit, meine Sicht auf die technischen und ethischen Herausforderungen unserer Zeit aus sehr diversen Blickwinkeln zu reflektieren. Sie helfen mir auch, meine Lehrtätigkeit neu zu justieren, weil ich die Studierenden fragen kann, wie sie denken und leben wollen. Zunehmend habe ich in meinen Lehrveranstaltungen nämlich das Gefühl, dass ich mich erneuern muss, dass wir gemeinsam eine Sprache schaffen müssen, um uns über die Herausforderungen unserer Zeit unterhalten zu können und dann auch gemeinsam ins Handeln zu kommen.

Dass das online allein nicht funktioniert, ist derzeit an vielen Phänomenen deutlich zu erkennen. Durch die Erfahrungen mit tekethics, der Arbeit in den Bücherhallen und der Veranstaltung im Kino wird mir deutlich, wie wichtig die Begegnung möglichst verschiedener Menschen im meatspace ist. Dort ist es manchmal einfacher zuzuhören, nachzufragen und neugierig zu sein, weil man sich als Mensch wahrnimmt und mehr Informationen hat, sein Gegenüber zu begreifen. Mich interessiert auch, wie sich anschließend die Diskussion im Netz fortsetzen lässt, wie der Austausch gewinnt, wenn viele dazu beitragen und ob ein Gespräch, das von Angesicht zu Angesicht begonnen hat, im Netz andere Qualitäten hat.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 09.01.2020 auf dem Blog der Hamburg Open Online University (HOOU) unter dem Titel “Digitale Transformation: Ethik und Fragen”