Auf einer Konferenz berichtete ein Teilnehmer meines Workshops, dass sein Sohn ihm in einer Sache nicht glaubte, weil er, der Vater, nicht so viele Follower habe wie der Influencer, dem der Sohn stattdessen Recht gab. Amüsant und irritierend zugleich, denn die Anekdote macht deutlich, wo junge Menschen ihre epistemischen Autoritäten finden.

Ich hatte vor Jahren schon mal zu dem Begriff epistemische Autoritäten gearbeitet und u.a. die Dissertation von Bern Zinn (2013) gelesen, die sich mit dem Thema in der beruflichen Bildung beschäftigt. Durch die geschilderte Situation des Teilnehmers bin ich wieder auf das Thema aufmerksam geworden und entdecke gerade den aktuellen Forschungsstand und interessante Fragestellungen dazu.

Z.B. sind die Expertinnen und Experten, die während der Corona-Pandemie zur Deutung der Situation beigetragen haben, besondere epistemische Autoritäten im Diskurs gewesen. Manche Menschen haben sich selbst als “Drosten-Ultras” bezeichnet, um anderen gegenüber ihr Vertrauen in die Wissenschaft auszudrücken. Andere sind durch diese Konzentration der Expertise auf zentrale Figuren der Debatte in den Widerstand gegangen und haben sich weit vom wissenschaftlichen Mindset entfernt. Die Folgen dieser Konfrontation sind nach wie vor im politischen und wissenschaftskommunikativen Diskurs zu spüren.

Ein neues Buch, das sich dieser Problematik annimmt, hat Peter Strohschneider (2024) veröffentlicht. Ich habe es bisher nur überflogen und auf den Stapel der wichtigen Bücher gelegt, weil es sich zentral mit der Wahrnehmung von Wissenschaft und Demokratie beschäftigt:

“Bedingen Demokratie und Wissenschaft einander? Stabilisieren oder stören sie sich gegenseitig?” (S. 15)

Rico Hauswald (2024) hat zum Thema eine Open-Access-Monographie verfasst, die sich mit individuellen und pluralen epistemischen Autoritäten beschäftigt. Auch er setzt diese Habilitationsschrift in den Kontext der Pandemie (S. VI).

Ein interessantes Forschungsprojekt, läuft am Center for Digital Participation in Leipzig und befasst sich mit Epistemic Authority in the Digital Public Sphere. Von der langen Publikationsliste erhoffe ich mir weitere Impulse zum Zusammenhang von Influencer*innen und epistemischen Autoritäten.

Referenzen

Hauswald, R. (2024). Epistemische Autoritäten: Individuelle und plurale. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-68750-5

Strohschneider, P. (2024). Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus. München: C.H. Beck.

Zinn, B. (2013). Überzeugungen zu Wissen und Wissenserwerb von Auszubildenden : empirische Untersuchungen zu den epistomologischen Überzeugungen von Lernenden. Münster: Waxmann.