Die Sozialwissenschaftlerin Tanja Bogusz hat in einem hörens- und lesenswerten Radiobeitrag erläutert, was Idee und Aufgabe der Meeressoziologie sind und welche Akteur*innen für eine solche Wissenschaft zusammenarbeiten sollten:

Wie können Meer-Mensch-Beziehungen angesichts des gesellschaftlichen Anpassungsbedarfes an die ökologische Krise sozial nachhaltig organisiert und gestaltet werden? Eine Antwort darauf lautet, dass der Konflikt zwischen sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedarfen über „heterogene Kooperationen“ eingefangen werden kann. Dabei geht es um Formen der Zusammenarbeit, bei denen Akteure unterschiedlicher Sozialisation, Profession und kultureller Prägung aufeinandertreffen. Genau das fehlt in einer Zeit, in der die Veränderungserschöpfung, von der Mau spricht, auch deshalb schnell zu antagonistischen Einstellungen führt, weil die soziale Spaltung nicht nur wirtschaftliche und bildungsspezifische, sondern auch erfahrungs- und lebensweltliche Trennlinien gezogen hat. Deshalb sind drei Themen für die soziologische Meeresforschung und damit für die Aufklärung des Verhältnisses von Mensch und Meer zentral: Wissen, Kooperation und Transformation. (Abs. 21)

Heterogen in dieser Form der Kooperation sind nach meinem Verständnis die unterschiedlichen Wissensformen, die die beteiligten Akteur*innen einbringen: Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen, wie Bogusz im folgenden Absatz ausführt. Damit ist noch nicht gemeint, dass die Gruppe der Forschenden auch divers zusammengesetzt ist, was m.E. nach wichtig ist, um die zuvor genannten Gräben zu überwinden. Um es mit Bruno Latour (2022, S. 84f) zu sagen, wenn er die Entstehung einer ökologischen Klasse imaginiert:

An diesem entscheidenden Punkt spielen sich die Konflikte ab: der erste Konflikt zwischen den auf alte Weise definierten Klassen und der zweite, sekundäre, zwischen den traditionellen Klassen und der Umverteilung der Klassifizierungen, die die politische Ökologie bei ihrer Suche nach Verbündeten vornimmt. Menschen, die aus der Perspektive ihrer Klassenzugehörigkeit alles unterscheidet, finden sich Seite an Seite wieder mit ihren “Klassenfeinden”, sobald ökologische Themen einbrechen.

Auch wenn Bogusz diese Auffassung von heterogenen Kooperationen so nicht gemeint hat, besteht zumindest die Möglichkeit, dass sich in den von ihr skizzierten Formen forschender Zusammenarbeit politische und aktivistische Momente ergeben, die die Beteiligten auf einer weiteren Handlungsebene zusammenführen.

Für mich ist die Auffassung für eine Veränderung von Wissenschaft, die Bogusz am Bespiel ihrer eigenen Meeresforschung und dem damit zusammenhängenden Soziologischen Experimentalismus (Bogusz, 2018) ausführt, auch auf andere Felder übertragbar. Denn es geht nicht nur um ein umfassenderes Verständnis der Erde aus einer rein rationalen Perspektive, sondern auch um Formen der Beziehungsarbeit. Gemeinsame Projekte in heterogenen Kooperationen bergen das Potenzial, die Gräben, die sich zwischen den alten und neuen Klassen im Sinne Latours auftun, sowie den Graben zwischen Mensch und seinem In-der-Welt-sein zu überbrücken. Diese Projekte können konstruktiv oder analytisch sein. Wichtig scheint mir, dass das gemeinsame Ziel der Unternehmung laufend verhandelt und abgestimmt wird.

Bemerkenswert an dieser Stelle ist für mich, dass der Protagonist im zweiten Teil der Trisolaris-Trilogie von Cixin Liu (2018) die Kosmosoziologie aus der Taufe hebt — einen holistischen Blick auf das Universum samt aller Lebensformen, die darin existieren. Daran fühlte ich mich sofort erinnert, als ich den Beitrag von Bogusz im Radio hörte.

Ebenfalls bemerkenswert finde ich, dass sich sowohl Bogusz als auch Liu auf Carsons Buch “Der stumme Frühlung” (1979) beziehen, um die Haltung der Trisolarier zu motivieren.

Referenzen

Bogusz, T. (2018). Experimentalismus und Soziologie: von der Krisen- zur Erfahrungswissenschaft. Frankfurt New York: Campus Verlag.

Carson, R. (1979). Der stumme Frühling (97.-100. Tsd.). München: Beck.

Latour, B. & Schultz, N. (2022). Zur Entstehung einer ökologischen Klasse. Ein Memorandum (edition suhrkamp Sonderdruck). Berlin: Suhrkamp.

Liu, C. (2018). Der dunkle Wald (Die Trisolaris-Trilogie). (K. Betz, Übers.). München: Wilhelm Heyne Verlag.